Pillen-Frühstück



Ich komme nicht mehr runter.

Ich kann mich nicht mehr bücken.

Wenn ich mich falsch bewege,

fängt etwas an, zu zwicken.

Wenn das so weiter geht,

dann lauf' ich bald auf Krücken.

 

Schon morgens schluck' ich jede Menge Pillen,

rot, grün und blau - ein farbenfroher Haufen,

als wollte ich damit den Hunger stillen.

Ich hinke, humpel', kann kaum laufen.

Ist es denn nicht erbärmlich, so zu leben?

Die Firma Körper geht in Insolvenz.

Soll ich mir nicht schon jetzt den Freitod geben?

Vor mir liegt Wintereis, nicht Grün im Lenz.

 

 

 

Kommentar:

Wann lohnt sich der Selbstmord?
 

Gott sei Dank sind solche "Selbstmord-Phantasien" bei mir nicht wirklich ernst gemeint; deshalb auch nicht nachhaltig.

Sie sind nur schwarze Wolken, die schnell vorbei zieh'n, sich auflösen und wieder dem blauen Himmel Platz machen.

Manchmal löse ich sie auch selber auf, sorge selbst dafür, dass sie schnell weiter zieh'n.

Ich mache mir wieder klar, dass ich ja nicht nur mein Körper bin.

Mein Körper verfällt zunehmend, geht den Bach runter, geht bankrott -

doch nicht unbedingt auch meine Seele und mein "Geist".

Meine Seele kann ja immer noch wachsen, sich durch neue Erfahrungen bereichern, sogar in "Alters-Weitsicht" ihre Grenzen ausdehnen.

Mein Bewusstsein kann immer noch in das Unbegrenzte eintauchen, als freies Tätig-Sein die Gegenwart gestalten.

Nur mein Körper geht unter, doch der Körper ist nicht das Wichtigste.
 

Wie sich die Frage des Selbstmords stellen würde, wenn ich merken würde, dass ich dement würde - oder unheilbar krank, mit dauernden Schmerzen, die nicht mehr zu kontrollieren wären?

Würde ich dann sagen:

 

"Ich habe lange gut gelebt.

Ich will nicht möglichst lang noch ungut leben.

 

Ich habe lang mit Pracht geblüht.

Ich will nicht möglichst lange welken.

 

Der Körper ist ein Unternehmen, das bankrott geht.

Ich will nicht seine Insolvenz verschleppen."

 

Gäbe es - für mich - Lebenszustände, Lebenspunkte, in denen es sich nicht mehr lohnen würde, das Leben weiter zu leben?

Ich weiß es nicht -

 

und muss es auch nicht jetzt schon wissen.

Gott sei Dank steht ja in diesen Zeilen ein vierfaches "würde", das diese Lebenssituationen zu etwas Irrealem macht.

Sie könnten vielleicht irgendwann eintreten, eine der vielen Möglichkeiten der Zukunft. Doch sie sind nicht meine Wirklichkeit in der Gegenwart.

Die Frage des Selbstmords stellt sich jetzt nicht. Ich muss sie daher jetzt nicht stellen und eine Antwort finden - erst dann, wenn sie sich wirklich stellt.

Und vorher kann ich sie auch gar nicht wirklich beantworten - höchstens aus einer Theorie, aus einer Welt-Anschauung, Überzeugung heraus.

Doch ob ich dieser Theorie wirklich folgen werde, aus der Überzeugung heraus wirklich handeln werde, das weiß ich erst, wenn sich die Frage wirklich stellt.

Apropos Theorie - mir fällt Albert Camus ein und sein Sisyphos, der Held einer absurden Welt.

Für Camus ist der Selbstmord das einzige "wirklich ernste philosophische Problem. ... Die Entscheidung, ob das Leben sich lohne oder nicht, beantwortet die Grundfrage der Philosophie."

Und die Welt ist für ihn absurd - ein sinnloses, nicht zu durchschauendes und nicht zu ordnendes Chaos - , gäbe also auf jeden Fall Anlass, sich durch Selbstmord aus ihr zu befreien.

Doch Camus Antwort ist: Selbstmord lohnt sich nie - weder körperlich noch "philosophisch" als Flucht in einen Glauben oder eine Ideologie.

Die einzige Lösung ist, die Absurdität des Lebens anzunehmen, sie zu nutzen, für sich zu gestalten.

Und das krasseste Beispiel für einen solchen absurden Lebensstil ist Sisyphos:

Der ist ja von den Göttern dazu verurteilt, einen schweren Stein einen steilen Berg hoch zu wälzen. Doch am Gipfel rollt der Stein wieder in den Abgrund zurück.

(Vielleicht ist der Gipfel zu schmal, zu spitz, so dass er auf ihm nicht lagern kann.)

Sisyphos schiebt seinen Stein wieder den Berg hoch. Der Stein rollt wieder in den Abgrund. Das wiederholt sich - immer wieder, ohne Ende.

Doch es gelingt Sisyphos, den Stein zu seinem Stein, den Berg zu seinem Berg zu machen:

"Jedes Gran dieses Steins, jeder Splitter dieses durchnächtigten Berges bedeutet allein für ihn eine ganze Welt.

Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen."

Und Camus lässt seinen Essay "Der Mythos von Sisyphos" abschließen mit dem Satz:

"Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen."




Nun, eine deutsche Dichterin hat durch ihren selbst gewählten Tod die Frage anders beantwortet:

Publiziert am: Sonntag, 04. September 2022 (294 mal gelesen)
Copyright © by Rudolfo Kithera

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